Lernkultur - Trendthema ohne Kontur
Lernkultur ist die neue Agilität. Zumindest kommt es mir so vor, dass alle vom digitalen Wandel sprechen, und nur die wenigsten die Komplexität begreifen, wohl aber uns allen langsam dämmert, dass diese Transformation unser Leben radikal verändert. Jetzt und nicht erst morgen. Ich bin fest davon überzeugt: Lernkultur ist der Schlüssel, um diesen Wandel zu meistern.
VOPA+ - Prinzipien, die Lernkultur den Weg ebnen. Und ihr Zielbild sein können?
Soweit so gut. Die Antwort auf die Herausforderungen der unsicheren, komplexen, widersprüchlichen und sprunghaften VUCA-Welt ist für Organisationen nur einen Klick, nur ein Modell, nur eine Mindsetänderung entfernt. VOPA+ heisst die Antwort und wurde entwickelt von Willms Buhse. VOPA+ steht für Vernetzung, Offenheit, Partizipation, Agilität plus Vertrauen. Ein charmanter und griffiger Ansatz. Und dem ist auch nicht zu widersprechen.
Aber wenn Organisationen davon überzeugt sind, mit den neuen Modellen und Prinzipien eine schnelle und elegante “Lösung” der Herausforderung digitale Transformation gefunden zu haben und diese daher mal eben eingeführt wird und mithilfe von Coachings, Workshops und Onlinekursen nachhaltig verankert werden soll, dann denken sie zu kurz. Zwar ist es auch in Zeiten von agiler Teamarbeit, Selbstorganisation, Netzwerkstrukturen und Hierarchieverflachung die Aufgabe der Leitung der Organisation, den Wandel zu initiieren und zu steuern. Den Mitarbeitern kommt aber eine neue Rolle zu, die von flexiblen, kreativen Gestaltern, die vorausschauen, die mitdenken, die sowohl sich sowohl der eigenen sinnstiftenden Tätigkeit als auch dem Unternehmenserfolg, der weniger dem Umsatz, als mittlerweile dem Purpose, verpflichtet sehen.
Bei all den Unwägbarkeiten, die der digitale Wandel für Organisationen mit sich bringt, wird klar, auf welches zentrale und so wichtige, in der Vergangenheit zu wenig beachtete Element nicht mehr verzichtet werden kann: Lernkultur.
Lernkultur darf nicht verheizt werden
Lernkultur in Organisationen entwickelt sich gerade zum heißen Thema. Das ist gut so. Dabei ist die Beschäftigung mit der Frage, wie kann ich einen Raum und Anlässe schaffen, dass Lerner sich optimal entwickeln können, weder neu noch revolutionär. Und die Gefahr ist groß, dass es wie Agilität so lange durch die Organisation getrieben wird und auf ein “neues Projekt” neben vielen herunter reduziert wird, dass das Momentum, das gerade entsteht, verpufft.
Uns allen, die sich mit dem Wandel von Organisationen, dem Coaching von Führungskräften oder der Potenzialentfaltung und Lernprozessen im weitesten Sinne, sei es in Schule, Hochschule, Unternehmen oder dem Kindergarten, beschäftigen, muss klar werden, dass die Entwicklung einer nachhaltigen, funktionalen Lernkultur in einer Organisation weder nebenbei gelingen wird, noch eine reine Führungsaufgabe, noch für wenige Teile der Organisation relevant noch zeitlich begrenzt ist.
Lernkultur ist komplex und trivial zugleich. Aber immer: (fast) unsichtbar
Es wird, zu Recht wie ich finde, als die Antwort auf die Herausforderungen des digitalen Wandels betrachtet, weil auch deutlich wird, dass alle in einer Organisation den Wandel nur dann meistern können, wenn New Work auch zu neuen, agilen Weisen des Lernens führt. Aber was genau bedeutet das? Wie etabliert eine Organisation eine Lernkultur? Woran erkenne ich sie? Und wer ist verantwortlich für diese Entwicklung? Gibt es Qualitätsstandards für eine Lernkultur oder etablierte Konzepte, wie man eine Lernkultur “einführt”?
Wir fallen noch hunderte solcher Fragen ein. Und sie zu stellen ist legitim. Einige lassen sich im Netz recherchieren. Und du findest gute Frameworks, eine Reihe von Methoden und Tools, Blogs, Mindmaps usw. die sich mal auf Forschungs- und Informationsportalen der Bildungswissenschaften und der Pädagogik, mal in Weiterbildungsmagazinen und Coachingangeboten, wiederfinden. Selbst die Bundesregierung hat ein 2019 ein Impulspapier “Für eine zukunftsfähige Lernkultur im Unternehmen” veröffentlicht.
Schaut man in wissenschaftliche Fachliteratur, stolpert man bspw. häufig über das Modell der “Lernkulturen in der Weiterbildung” nach Schüßler/Thurnes.
Haltung und der erste Schritt. Alles andere kommt danach.
Sich mit dem Thema Lernkultur theoretisch zu beschäftigen, insbesondere wenn man Lernverantwortlicher in einer Organisation ist und der agile Wandel einsetzen soll bzw. eingesetzt hat, macht Sinn. Es ist aber nur als Voraussetzung zu sehen, denn Lernkultur entwickelt sich dann, und es entzieht sich einer spezifischen Steuerung weitgehend, wenn sich bei den Mitgliedern der Organisation eine geistige Haltung einstellt. Ein Mindset für agiles Lernen sozusagen. Die VOPA+ Prinzipien können hier eine gute Orientierung bieten. Um diese Haltung aber im alltäglichen Arbeitsprozess auch zu berücksichtigen, braucht es Zeit, Geduld und eine Reihe kleiner Schritte. Pragmatisch sein und loslegen, neue Tools ausprobieren, sich selbst und anderen den Raum geben, um eigene Routinen zu entwickeln, auch als Team nicht nur über die gemeinsame Arbeit, sondern auch das gemeinsame Lernen sprechen, regelmäßig zu reflektieren, auch Fehler zu machen und zu ihnen zu stehen, und auch bereits bestehende Prozesse und Routinen über Bord zu werfen. All das kann eine lebendige, ehrliche Lernkultur fördern, ja sie sogar definieren.
Dein erster Schritt zur agilen Lernkultur
Als Lernverantwortlicher nimmst du die wichtigste Rolle in diesem Prozess ein: Du bist selbst ein Lernender, ein Vorbild, Impulsgeber und Coach für Andere und ein Marketingprofi, der für das agile Lernen wirbt. Das klingt sehr anspruchsvoll, und das ist es auch.
Der beste Weg für Dich könnte also sein, nachdem du eine grobe Orientierung zum Thema Lernkultur hast und jetzt mit der Umsetzung beginnen möchtest, deine Schritte und daraus resultierende Entwicklungen als die jetzt genau passenden zu betrachten und sowohl dein Verhalten als auch das der anderen zu reflektieren. Starte dazu mit diesen drei einfachen Schritten:
Entwerfe, allein oder mit anderen, z.B. der Leitungsebene oder Partnern, die auch das Thema Wandel im Blick haben, eine offene Vision für die Lernkultur deiner Organisation.
Gehe als Vorbild erste Schritte, indem du deinen Weg, deine Erfolge und Herausforderungen teilst und mutig neue Wege beschreitest, auch kuriose Angebote ausprobierst.
Ermutige und unterstütze andere, insbesondere indem du sie nicht mit Lernkultur und der Vision (kommt auf Person und Kontext an) konfrontierst, sondern ihnen kleine, agile Lernroutinen, wie z.B. die Lernhacks, empfiehlst.
Für das Gelingen ist es wichtig, sich über eine Sache immer im Klaren zu sein: Es gibt nicht die eine Lernkultur und nicht den einen Weg, sie zu entwickeln. Denn das ist von einer ganzen Reihe von Faktoren abhängig, auf die ich beim nächsten Mal eingehen möchte. Es geht vor allem darum, eine offene Haltung zu besitzen und loszulegen.
Viel Spaß und gutes Gelingen auf diesem, auf deinem, auf Eurem Weg.